Rezensionen

Text von Eugen Gomringer zum Papierschnitt D17

 

Redundanz und Spielwitz

 

Jürgen Wolff, meisterlich zuhause im Feld von Redundanz und Information, bringt zahllose Variationen seiner auf Algorithmen beruhenden Drachenvierecke in die Kunstdiskussion mit ein. Eine Wiederbelebung informationstheorretischer Erkenntnisse der Ästhetik exakter Mittel bietet sich an, umso mehr, wenn einzelne Ergebnisse überraschende Originalität auf sich ziehen.

 

Ganz im Stil der Bescheidenheit von Josef Albers´ Empfehlung von Aufwand und Ergebnis schafft Wolff mit Papier und schwarzer Linie die Verwandlung eines unvollständigen Drachenvierecks in ein umgearbeitetes, das seine Redundanz soweit preis gibt, indem es an den beiden Winkeln größter Breite doppelte Materialität einsetzt. Das heißt, eine der beiden Dreiecksflächen des Drachenvierecks verdeckt eine gleich große schwarze Fläche, wobei die lange Mittelachse zum Scharnier wird, so dass die weiße Oberfläche umgelegt werden kann zugunsten der verborgenen schwarzen Dreiecksfläche. Der gleiche Vorgang wird ermöglicht beim zweiten Winkel durch einen spielerischen Eingriff in das algorithmisch redundante Drachenviereck. Wolff macht damit auch auf einen Grundsatz seiner Ästhetik aufmerksam, nämlich auf die Bewegungen "zu" und "auf". Anders gesagt: Ästhetik im Verein mit Spielwitz lässt Redundanz vergessen. Mit einfachsten Mitteln meldet sich konstruktive geometrische Kunst in der Kunstdiskussion zurück.

 

©Eugen Gomringer (Okt. 2020)

 

 

Auszüge des Vorwortes für "DYNAMICS + NUMBERS" von Brigitta Amalia Gonser, Kunstwissenschaftlerin

Jürgen Wolff (*1955) versteht, wie Johan Huizinga “Spiel als eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‘Andersseins’ als das ‘gewöhnliche Leben‘.[Huizinga, Johan: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Hamburg: Rowohlt 1958
(holl. Erstausgabe 1938) , S. 34.]
Jürgen Wolffs berufliches Profil bestimmt im Wesentlichen sein künstlerisches Schaffen. Denn er absolvierte vorerst sein Ingenieurstudium im Fachbereich Geodäsie, der Wissenschaft von der Ausmessung und Abbildung der Erdoberfläche, die sich mit der Bestimmung der geometrischen Figur der Erde, ihres Schwerefeldes und der Orientierung der Erde im Weltraum befasst, um dann ab 1980 in einem Ingenieurbüro und danach als IT-Systemberater im Vertrieb zu arbeiten. Seither entwickelte er auch seine technisch orientierte Zeichenkunst und damit sein wachsendes Interesse an Harmonien durch die spielerische Erkundung der Gesetzmäßigkeiten von Symmetrien und seine besondere Vorliebe für Schwarz-Weiß sowie für Zahlenmagien...

...Systematisch arbeitet Jürgen Wolff - ohne jemals Computerkunst generiert zu haben - mit stets neuen, selbst entwickelten Zahlen-Algorithmen für die Berechnung der Zeichenstrukturen mit Hilfe von Formeln sowie mit ästhetischen Zeichen-Codierungen, deren Entschlüsselung er dem Betrachter aber nicht immer mitliefert. Seine analogen Werke bleiben daher für den Sammler echte Unikate, die nicht seriell produziert werden können! So entwickelt Jürgen Wolff seine mathematisch-zahlenorientierte analoge ‚Informationsästhetik‘, die es ihm ermöglicht auch den geplanten Zufall von reizvollen ästhetischen Fehlern im System durch die Überschneidung zweier Algorithmen in seine Grafiken einzubauen. Dabei setzt er vier Verfahren ein, die uns an Max Benses (1910-1990) durch die generative Ästhetik ermöglichte „ästhetische Synthese“[Bense, Max: Projekte generativer Ästhetik. In: rot 19. Hrsg. von Max Bense & Elisabeth Walter. Stuttgart 1965] erinnern – ohne dass er bisher von dieser Kenntnis hätte: ein semiotisches, ein metrisches, ein statistisches und ein topologisches. Sein semiotisches Verfahren basiert auf der Untersuchung der Bedeutung des Zeichens. Sein metrisches Verfahren benutzt numerische Daten zur Bestimmung solcher Parameter wie Breite, Länge, Anzahl oder Verhältnis des makroästhetischen Aufbaus, der sogenannten „Gestalt“ seines Kunstwerks. Im statistischen Verfahren bestimmt er mit den Begriffen der “Häufigkeit” und “Wahrscheinlichkeit” den mikroästhetischen Aufbau seines Kunstwerks, also die “Verteilung” lokaler Strukturen. Sein topologisches Verfahren ist geometrisch orientiert, zielt auf gestalterische Variation eines Zeichens oder Zeichenprozesses, verbindet die Nachbarschaften als Graph und bildet mit den Begriffen von “Umgebung”, “Offenheit” oder “Abgeschlossenheit” das Prinzip “Zusammenhang” des Aufbaus seines Kunstwerks...

 

Text zu "Digitalräume",  Kunstverein EULENGASSE, Frankfurt, 2018

Das Jahresthema »Raumkonzepte [vorläufig]« evoziert die Beschäftigung mit unterschiedlichsten Raumbetrachtungen. In der Ausstellung »Digitalräume« geht Jürgen Wolff von einem Ansatz aus dem Bereich Mathematik und Physik aus, um den mannigfaltigen Möglichkeiten der Raumentstehung zeichnerisch auf den Grund zu gehen. Die von ihm gezeigten Arbeiten sind stabile Räume, die aus definierten Zahlenmodellen entstehen – Di»visionen«, wie Wolff betont. Damit schaut der Betrachter in einen Zahlenraum, der nur gedanklich begehbar ist und klaren mathematischen Gesetzen unterliegt. Harald Etzemüller unterzieht nicht realisierten Architekturprojekten eine Re-Vision, indem er die entstandenen 3D-Modelle in verschiedenen isometrischen und perspektivischen Darstellungen untersucht. Die Wireframes lassen Raumkontinua spürbar werden, ohne dass der Betrachter sie in Gänze recodieren vermag. Überlagerungen verstören zusätzlich gewohnte Empfindungen. Auch Florian Adolph interessiert das Auflösen von Grenzen, allerdings mit dem Fokus auf analogen und digitalen Produktionsweisen und dem Lernprozess als ästhetischer Erfahrung. Seit seinem Studium der interdisziplinären Kunst untersucht und entwickelt er im Rahmen seiner künstlerischen Arbeit neue Techniken und Technologien zur digitalen und analogen Kunsterzeugung. [Harald Etzemüller]

 

Text zu "Plan und Zufall", Artfair Luxemburg von Dr. Christopher Naumann / Galerie m beck

Wir Menschen streben nach Zielen, Visionen und Zukunft, nach Wunscherfüllung. Um dies zu erreichen, legt man sich oft einen Plan, eine Strategie zu, mit Zwischenzielen und Wegmarkern.Manche Pläne gehen auf, andere Ziele werden erreicht und auch so mancher Wunsch geht in Erfüllung. Nun ist es aber so, dass wir Menschen nicht alleine, einzeln sind, sondern eine Gemeinschaft. Es ist meist so, dass die verschiedenen Pläne Einzelner sich kreuzen und der Zufall, das Schicksal entscheidet, welcher der Pläne in Erfüllung geht.
Nicht anders ist es auch bei den hier verzeichneten Künstlern und Künstlerinnen. Gemein ist allen die plane-glatte Leinwand als Ausgangspunkt sowie die Intension der kreativen, kommunikativen Auseinandersetzung mit Themen und Gefühlslagen. Dabei ist es menschlich, dass aus dem Plan, den Gedanken, der Idee zu einem Bild oder Motiv ein anderes Ergebnis am Ende des Schaffensprozesses, der Arbeit steht. So wohnt jedem Plan, jedem Beginn der kreativen Arbeit ein Geheimnis inne, das den Zufall (das Unvorhersehbare) benötigt um geboren und sichtbar zu werden.
Dabei ist es egal, ob der Künstler im figurativen Bereich (Gisela Hammer, Michael Jansen, Imke Stolle d‘Silva) arbeitet, ober im abstrahierenden Genre unterwegs ist (Wally Bistrich, Petra Heck, Bea Garding Schubert, Christine Stettner). Der Funke der Inspiration ist immer sichtbar, ebenso wie bei jenen Künstlern, die in der geometrischen, konstruierenden zeitgenössischen
Kunst zu finden sind (Harald Puetz, Jürgen Wolff, Dietmar Kempf, Yvonne Klug).

 

Einladungstext "Denken und Umdenken" von Vládmir Combre de Sena (01.02.2017)

Denken: die menschliche Fähigkeit des Erkennens und Urteilens anwenden; mit dem Verstand arbeiten; überlegen. Gesinnung haben, annehmen, glauben, vermuten, meinen, sich erinnern. Etwas Bestimmtes vorhaben. – Umdenken setzt Denken voraus.

 

Interessant, wenn man den Titel »DENKEN UND UMDENKEN« googelt, stößt man unmittelbar auf das Buch »DENKEN UND UMDENKEN«, über den deutschen Physiker Werner Heisenberg. Er hat die Physik des 20. Jahrhunderts wesentlich mitbestimmt (Nobelpreis 1932): Quantentheorie und Quantenmechanik. Für Heisenberg waren Physik und Philosophie untrennbar miteinander verbunden. Die Materie verstand er im Sinne Descartes als Gegenstück zum Geist. »Denn die kleinsten Einheiten der Materie sind tatsächlich nicht physikalische Objekte im gewöhnlichen Sinne des Wortes; sie sind Formen, Strukturen, oder im Sinne Platos, Ideen, über die man unzweideutig nur in der Sprache der Mathematik reden kann.«

 

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 von Cornelia König-Becker, Galerie "abteigasse 1", Amorbach zur Vernissage am 24.09.2016

Das, was in dieser Ausstellung natürlich zuerst ins Auge fällt und eine verblüffende Wirkung hat, ist die Präzision, die Kunstfertigkeit, mit der die Zeichnungen angefertigt sind.

Jeder Strich, jede Linie ist mit der Hand gezogen, kein Fehler erlaubt, denn das Grundprinzip ist die Beherrschung, Fehlerlosigkeit, Genauigkeit mit der die Figuren auf dem Blatt entstehen.

 

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